Reisebericht zu Andalusien→Costa de la Luz→El Rocio Enklave eines fernen Planeten mitten in Andalusien: Die Westernstadt El RocioMairena entlässt uns nicht ohne Schwierigkeiten aus den Fängen der Trabantenstadt. Nachdem wir das freie Land erreicht haben, finden wir aber zu unserem Erstaunen über Wuppertal zur Westernstadt El Rocio. Obwohl vorbereitet, nimmt uns das High-Noon-Feeling in diesen sandigen Pisten doch gefangen. Die Paläste der Bruderschaften und die Bekanntschaft mit der Madonna von El Rocio bei der Messe in der örtlichen Kapelle lassen einen eher an den Besuch auf einem fernen Planeten denken. Nach dem auch angesichts der vorausgehenden Anreise aus Baeza etwas anstrengenden ersten Rundgang durch Sevillas Altstadt am gestrigen Nachmittag wollen wir heute mit einem Tag in der Natur eine Pause vom Großstadtgetöse einlegen. Den Naturpark "La Donana" können wir ohne vorher gebuchte Führung ohnehin nicht besichtigen, wie wir schon wissen. Aber auch an seinen Rändern sollte sich ein erster Eindruck gewinnen lassen. Dieser ohne Begleitung nicht betretbare Park erstreckt sich von der Costa de la Luz nördlich von Cadiz bis fast nach Sevilla, so dass er von dort aus allenfalls mit einer Bootsfahrt von Sanlucar aus besichtigt werden kann. Dieser "Haken" über die Hauptstadt war uns von Cadiz aus zu weit bei unserer letzten Andalusienreise, und das wollen wir jetzt nachholen. Aus der Trabantenstadt Mairena del Aljarafe herausfinden: Keine leichte AngelegenheitWir wollen unsere gemütliche Landpartie schließlich nicht gleich auf der Autobahn beginnen, sondern gemütlich über die Landstraßen unserem Ziel entgegen tuckern. Nachdem die öffentlichen Wegweisungen natürlich auf Effizienz und Schnelligkeit ausgerichtet sind, ist das aber gar nicht so einfach. Die nördlich von Mairena verlaufende Autobahn von Sevilla nach Huelva, über deren Tentakel wir letztlich gestern hierher gereist sind, wäre problemlos zu erreichen. Wir möchten aber auf der südlich davon verlaufenden Landstraße über Pilas und Almonte an die Küste fahren. Hier müssen wir uns also an den weiteren Urbanizaciones oder Trabantenstädten in Sevillas westlichem Umland orientieren. Obwohl ich mir zuvor einen Eindruck auf der Straßenkarte verschafft hatte, verliere ich aber in den schnell aufeinander folgenden Kreisverkehren und Beschilderungen zu Ortsnamen, die ich noch nie gesehen habe, bald den Überblick. Einen beständigen Anhaltspunkt bieten immerhin die Haltestellen der Buslinien aus dem Umland. Meine Suche nach Ferienwohnungen im Umkreis von Sevilla hatte mich bis nach Pilas geführt, und in Zusammenhang damit kann ich mich jetzt auch an die zugehörige Buslinie erinnern. Beim Abfahren dieser Verwinkelungen bin ich aber durchaus froh, von solch doch entfernten Orten für eine Besichtigung Sevillas Abstand genommen zu haben. Wir schlagen auf diese Weise sicher mehrere Haken in den Satellitenstädten, die sich in Sevillas Südwesten gebildet haben. Ohne erkennbares Muster wechseln sich im Verlauf dieser Irrfahrt großzügige Kreisverkehre und breite Ausfallstraßen mit immer noch existierenden, kleinen Dorfgemeinschaften und engen Durchfahrten vorbei an verschlafenen Plätzen ab. Im westlichsten Ort dieser Vorstadtstruktur, Almensilla, glauben wir uns schon fast verfranzt, bis wir erkennen, dass es ohnehin nur eine wesentliche Ausgangsrichtung gibt, die Straße nach Bollulos. Nach einem Blick auf die Straßenkarte entscheiden wir uns dort richtigerweise gegen die vorgeschlagene Variante in Richtung der nördlich verlaufenden Autobahn und finden uns so endlich auf der ersehnten Landstraße nach Westen in Richtung Almonte und dem Parque Natural de La Donana. Bemerkenswerte Rabattmodelle an Tankstellen entlang andalusischer Landstraßen, die an Wuppertal und weiteren Wohnmöglichkeiten außerhalb Sevillas vorbeiführenMittlerweile hat sich die Aprilsonne für die strahlende Variante entschieden, und wir durchfahren ganz entspannt eine sehr landwirtschaftlich orientierte Gegend. Weite Felder und kurze Forstabschnitte wechseln sich ab, ab und zu passieren wir auch ein umfangreiches Gehöft. Aznalcazar, Pilas und Hinojos, die Orte, die sich wie an einer Perlenschnur westlich von Sevilla aufreihen, werden allesamt durch eine breite Umgehungsstraße umrahmt, so dass wir die ursprünglich angedachten Wohnmöglichkeiten nur aus der Ferne begutachten können, von wo sie natürlich nicht gerade attraktiv aussehen. Sicher erscheint aber, dass sie für einen Bustransfer nach Sevilla schon sehr weit außerhalb liegen. Höchstens die Zugverbindung könnte sie noch ins Spiel bringen oder für ausgewiesene Naturfreaks die Nähe zur Sierra de Aracena und den Grotten von Maravillas einerseits sowie zu La Donana und der Nordküste der Costa de la Luz andererseits. Für uns ist das Thema ja ohnehin erledigt. Wir fühlen uns sehr gut aufgehoben in unserem Residencial Aljarosol und brauchen nicht mehr über Alternativen nachzudenken. Sehr wohl aber beachten sollten wir den Stand der Tankanzeige, nachdem wir nicht wissen, wie einsam es um uns herum werden wird und einschlägige Erfahrungen ja schon gemacht haben. Eine gemütliche Tankstelle am Wegesrand scheint uns da sehr gelegen, den Tank wieder aufzufüllen. An der Kasse muss ich erst noch etwas warten, bis mein Vorgänger mit der Chefin die verschiedenen Rabattmodelle durchgegangen ist, die hier anscheinend angeboten werden. Anscheinend entscheidet er sich ebenso wie ich daheim für die Variante des Sofortabzugs. Weg ist weg, ich möchte auch immer gleich meinen Bonus in bar. Sein Beispiel vor Augen nicke ich also alle freundlichst vorgetragenen Ansinnen der Dame weg und lasse mich auch nicht beeindrucken, erneut als "Caballero" angesprochen zu werden. Ich zücke den Geldbeutel als Zeichen dafür, nunmehr zum Abschluss der Transaktion kommen zu wollen, was auch prompt erledigt wird. Zum Gaudium meines Vorgängers, der offensichtlich auf diesen Moment gewartet hat, werde ich aber verfolgt, als ich den Kassenkiosk verlassen möchte. Schon bevor ich die Türe erreicht habe, baut sich die Matrone wieder vor mir auf und hat mir in bemerkenswerter Geschwindigkeit einen Halbzentnersack Kartoffeln in die unwillkürlich geöffneten Arme gedrückt. "Regalo", "no problem", säuselt sie mir entgegen, während der Vorgänger sein Lachen nicht mehr unterdrücken kann. Ich erinnere mich einerseits an den Zigeunerüberfall vor Sevillas Kathedrale und überlege andererseits, wie wir einen halben Zentner Kartoffeln verbrauchen sollen, sehe aber ein, dass ich hier ohne Kartoffeln nicht herauskomme, ohne als Vollidiot dazustehen. Als solchen sieht mich natürlich meine Frau an, sobald ich bepackt wieder zum Auto komme und den Sack im Kofferraum verstaue. Immerhin, wären wir ganz arm, könnten wir jetzt für einen ¾-Tank drei Tage leben. Der Skurillitäten sind damit aber noch nicht genug. Kurz hinter Hinojos machen wir Pause am Rande eines der von uns so geliebten Wegweisern der andalusischen Naturschutzbehörde, der uns zu einem Erholungsareal verweist, das jetzt natürlich verwaist ist, den dort verbauten Sitzgruppen nach zu schließen erhebliches Picknickpotential besitzt, so aber gerade mal für meine Zigarettenpause gut ist. Wir sind aber schon überrascht, als uns die nächste Wegweisung von der Hauptstraße abzweigend nach Wuppertal schicken möchte. Hier muss ein Landsmann schon ziemlich gute Arbeit geleistet haben, um es bis hinein ins spanische Ortsverzeichnis geschafft zu haben. Nur weil unser touristischer Arbeitstag ja gerade erst beginnt, belassen wir es bei einem Beweismittelfoto und gehen dem nicht weiter nach. Bei Almonte werden wir auf die schnellstraßenähnliche Verbindung von der Autobahn an die Küste eingeschleift. Die Enttäuschung könnte kaum größer sein. Links und rechts der stangengeraden Fahrbahn plastiküberdeckte Gemüse- und Obstplantagen, soweit das Auge reicht, obwohl es über die hallenartigen Gebilde ohnehin nicht reichen kann. Ab und an wird das eintönige Straßenbild aufgelockert durch breite Einfahrten in Agrarfabriken. So haben wir uns den Rand eines Naturpark-Welterbes nicht vorgestellt. | |||
El Rocio: Trotz Vorwarnung High-Noon-Feeling in einer unvorstellbaren Filmkulisse für WesternfansDieses Unvermögen an Vorstellungskraft wird aber gleich noch übertroffen werden. Schon bald wird El Rocio angekündigt, ein eigentlich kleiner Weiler am nördlichen Rand des Naturparks der Donana. Unsere schon sehr kulturhistorisch orientierten Reiseführer betonen den skurrilen Charakter dieser Ortschaft. Im Gefolge unserer ersten Andalusienreise hatte ich mir aber einen Fernsehbericht zu der hierher alljährlich stattfindenden Pfingstprozession angesehen, den ich zufällig entdeckt hatte. Aus dem wurde deutlich, dass ich hier, in einem eigentlich verlassenen Wüstennest, tatsächlich jedes Jahr zu Pfingsten inklusive der beobachtenden Touristen eine Million Menschen versammeln. Von früher kenne ich deutsche Western-Städte wie Pullman City in der Nähe von Passau, die ich im Rahmen eines Band-Scoutings für meine damals betriebene Country-Kneipe öfters besucht habe. So etwas stelle ich mir vor. Schon am ersten Kreisverkehr, der den Ortseingang bewacht, werden wir nach links auf eine verwehte Sandpiste abgeleitet, die sich tatsächlich einer Geisterstadt nähert. Die scheinbare Hauptachse durch den Ort führt schnurgerade durch eine endlose Reihe von Westernhäusern, anstelle von Parkplätzen findet sich vor jedem Wohnblock das Gestänge zum Anbinden der Pferde, der Sand der jetzt mehr dünenartigen Piste weht still durch die endlose Weite. Lediglich einige, offensichtlich touristisch besetzte PKWs kurven ab und zu herum. Wir wollen uns hier nicht verlieren und halten am ersten, deutlich markierten "Stadtplan" an, um uns zu orientieren. Hier wird schnell deutlich, dass die Anführungszeichen falsch gesetzt sind. Auch wenn gerade niemand da ist, befinden wir uns tatsächlich in einer Stadt. Der Weg ins Zentrum führt durchaus noch um mehrere Ecken und ohne Plan kann man sich hier sehr wohl auch verirren. Sollte aber jemand "High Noon" neu inszenieren wollen mit dem Show-down auf der Main Street inmitten scheinbar verlassener Bürgerhäuser, hier wäre er richtig. Die Paläste der Bruderschaften und die Madonna in El Rocio: Einmal im Jahr als Pfingstspektakels zum Leben erwecktÜber mehrere Ecken schlittern wir auf den Sandpisten in das Zentrum dieser seltsamen Ortschaft, wo sich immerhin mehrere Geschäfte und Restaurants der Touristen annehmen, die auch außerhalb der Pfingsttage diese Stätte besuchen. Dort werden wir auch von dem Gefühl tiefster Einsamkeit aus Karl Mays Lliano Estacado-Romane befreit. Die händewedelnden Einweiser ignorieren wir und parken das Auto in einer der öffentlichen Parkbuchten für Gläubige neben der kleinen Kirche, die den Platz mehr begleitet denn beherrscht. Die überragenden Bauten stellen unübersehbar die kleinen Schlösschen dar, die sich um den Platz herum gruppieren, mit Mosaiken, Bildern und Fahnen dekoriert deutlich erkennbar als Heimstatt der wohl ersten und daher zumindest der Madonna von El Rocio nächsten Bruderschaften des hiesigen Kults. Die angeblich schönen und behaglichen Innenhöfe dieser Stadtpaläste können wir nicht besichtigen, der Charakter einer Trutzburg inmitten eines Millionen-Menschen-Chaos ist ihnen aber nicht abzusprechen, selbst wenn bei ihrer Entstehung die Dinge hier noch ruhiger abgelaufen sein sollten. Inmitten dieses deutlich auf Ellenbogen ausfahren bezogenen Ambientes ruht unscheinbar die kleine Kirche, auf die sich alles Geschehen konzentriert. Vom Hauptplatz aus betreten wir das Gotteshaus durch den Seiteneingang, wo die Madonna bereits auf ihrer Sänfte auf den alljährlichen Austrag wartet. Die innen wie außen eher unscheinbare, weiß gekalkte Kapelle wollen wir nicht ausgiebig besichtigen, weil gerade der Gottesdienst gefeiert wird. Fast wie in deutschen, evangelischen Kirchen werden hier einzelne Besucher eingeladen, als Vorsänger für die Psalmen am Altarmikrofon zu fungieren, was mich als ehemaligem Erzkatholik doch schockiert, vor allem aber angesichts der Gesangsschräge zum baldigen Verlassen bewegt. Die eigentliche und einzige Sensation des Hauses besteht wohl in der Madonna und ihrer Sänfte. Um die Ehre, sie aus dem Haus zu tragen und in stets wechselnden Mannschaften durch diesen eigentlich trostlosen Ort tragen zu dürfen, werden augenscheinlich handfeste Keilereien ausgetragen. Jedes Jahr zu Pfingsten mag sich hier also katholische Folklore mit ausgelassener Volksfeststimmung treffen. Dass diese aber nicht nur historisch gewachsener Spaß darstellt, bezeugen die durchaus trutzburgartig gestalteten Häuser der einzelnen Bruderschaften aus mittlerweile ganz Spanien auf dem ganzen Gelände. Für einen kurzen Augenblick versuchen wir uns die Pfingsttage all hier vorzustellen. Vermutlich ist es Faszinosum und Gräuel zugleich und nur durch jahrelange Vorausbuchung überhaupt zu erleben, ein grandioses, religiös motiviertes Allgemeinbesäufnis zwischen Pferden und Zigeunermusik im Westernfeeling. Unserem Herrgott mag es insoweit gefallen, als wer säuft und feiert vielleicht wenigstens keinen anderen Unsinn anstellt. Wir wollen uns jetzt aber der authentischen Stille des Naturparks "La Donana" widmen. | |||
Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten
Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten | |||
© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de
Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014
Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten
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