Überraschende Ausgestaltung von Heiligkeiten beim Altstadtrundgang durch Jerez de la FronteraReisebericht zu Andalusien → Costa de la Luz → Jerez de la Frontera Wundertätige, aber anonym bleibende Madonnen, Schaufenster voller Heiligenfiguren, in Zellophan verpackte Monstranz nach einer Einlasskonstruktion, die Fort Knox würdig wäre. Beim Rundgang durch Jerez begegnet uns ein Strauß verschiedener Interpretationen kirchlicher Selbstergebenheit, aber auch lauschige Plätze und viele Sherryfässer. Der in den Nachichten angekündigte Wetterwechsel scheint nun doch langsam aufzuziehen. Den bewölkten Tag werden wir zu einem ersten Ausflug nutzen. Sogar Lore hat nach drei Tagen in der Sonne am Meer nichts gegen eine Strandpause einzuwenden. Ein prominentes Ziel in der Provinz Cadiz ist noch offen geblieben in den letzten Jahren: Jerez de la Frontera. Ich hatte diese Stadt immer mit Sherry und Reiten in Verbindung gebracht und beides interessiert uns nicht besonders. Außerdem wurde mein Vater hier Opfer eines Taschenraubs vom Motorrad aus und hat sich bis zu seinem Tod von diesem Unfall nicht mehr richtig erholt. Möglicherweise habe ich auch deshalb den Besuch bisher immer hintan gestellt. Einfache Anfahrt und Parken in der Garage unter dem Arenal nahe der MarkthalleDie Anfahrt vom Cortijo in Conil gestaltet sich dann doch leichter, als ich es mir für eine mittelgroße Kleinstadt ausgemalt hatte. Wir nehmen einfach die erste Ausfahrt von der Autobahn aus Cadiz und fahren über den Kreisverkehr geradeaus in die Stadt hinauf, umrunden den Alcazar unterhalb und sind schon im Zentrum gelandet. Über zwei Ecken, den Parkbeschilderungen folgend, haben wir das Auto ohne weiteres Suchen in der Parkgarage unter dem Arenal abgestellt. Besondere Pläne habe ich nicht gemacht, wir wollen einfach ein wenig umher stapfen. Aus den Höhlen der Parkgarage wieder ans Tageslicht gelangt folgen wir erst einmal der breiten Fußgängerzone mit Cafés und Geschäften, wo schon überall die Sherryfässer zur Dekoration aufeinandergestapelt sind. So gelangen wir zur Plaza Esteve, von der aus wir mit wenigen Schritten einen Jugendstilpalast erreichen könnten, der offensichtlich als Markthalle gebaut ist. Für Einkäufe ist es aber noch etwas früh und der rege Verkehr um uns herum sieht nicht unbedingt nach Altstadt aus. Also zurück auf Los. Jetzt nehmen wir auch die Hinweisschilder für uns Touristen wahr, die uns nach rechts in die Calle Consistorio weisen, darunter auch zum Zoco Municipal, dem städtischen Kunsthandwerkermarkt. Das ist auch Lore wieder ein zielführender Anspruch, nachdem wir ja ohnehin keine bestimmte Richtung verfolgen. Viele Heiligkeiten in der Altstadt von Jerez mit wundertätiger Madonna, die anonym bleibtZunächst fällt aber gleich hinter dem Arenal mein Blick in eine Eingangspassage, an deren Ende sich jedoch nicht das erwartete Geschäft öffnet. Hinter Ziergittern steht ein hell beleuchteter Altar. An den Seitenwänden entdecken wir Pinnwände der anderen Art. Über dem gekachelten Sockel sind Prothesen, Schuhe jeder Größe, Kleidungsstücke und Blumen befestigt. Wir versuchen kurz, die Eindrücke zu sortieren. Ganz offensichtlich hat die Madonna, die den Altar am Ende ziert, doch schon ziemlich viele Wunder vollbracht, nichts anderes können diese Schautafeln bedeuten. Umso verwunderlicher, dass kein Schild am Eingang auf diese Denkstätte hinweist. Auch später finde ich weder in den Reiseführern noch im Internet auch nur den geringsten Hinweis auf diese offensichtlich doch sehr wunderträchtige Heiligkeit. Wir folgen der Straße weiter vor das imposante Rathaus und den sehr gemütlich wirkenden Platz davor, an dessen Ende wir noch einen hübschen Heiligkeits-Laden entdecken, in dem wir offenbar sämtliche Formen an Madonnen-, Christus- und Heiligenfiguren erstehen könnten, die man sich vorstellen kann. Auch eine echte Heiligerei, die der Sorgfalt des Schaufensteraufbaus nach zu urteilen sich an ernsthafte, ortsansässige Katholiken wendet und nicht an durchreisende Touristen. Schön anzuschauen ist sie für uns aber dennoch. Wir folgen weiter der Führungslinie durch die engen Gassen bis zur Plaza de la Asuncion mit der Dionysos-Kirche. Trotz des bleiernen Himmels schaut das alles sehr gemütlich aus und ich beginne, meinen Frieden mit Jerez zu machen. | |||
Kathedrale von Jerez überrascht mit strengen EintrittskonstruktionenEinige Meter abwärts werden wir in Sichtweite der Kathedrale übermütig und wandern durch die obere Nebengasse dorthin, anstatt der Hauptstraße zu folgen, die uns aber erst bergab und dann wieder aufwärts geführt hätte. Durch diesen mutwilligen Schlenker werden wir die Führungslinie zum Zoco Municipal verlieren. Bei einem späteren Blick auf die Karte werden wir aber einsehen, dass der immer noch weite und nur bergauf führende Weg dorthin für Lore ohnehin zu anstrengend gewesen wäre. Jetzt betrachten wir erst einmal die rötlich schimmernde Fassade der Kathedrale. Diesen Eintritt wollen wir uns nochmal leisten, und er lohnt sich in zweifacher Hinsicht. Ich habe ja nun schon viele Eintrittskonstruktionen erlebt, über die man dem Besucher in katholischen Kirchen Andalusiens seinen Obolus abnötigt. Aber dieser hier schlägt den Fass den Boden aus. Der Einlass erfolgt über das rechte Seitenportal der Hauptfassade, durch das man im Inneren direkt in einen Käfig aus Sperrholzplatten gelangt. Wer mal zu früheren Zeiten am Bahnhof Friedrichstraße in die damalige DDR einreisen wollte, der wird hier ungewollte Reminiszenzen erinnern. An einem Tresen löst man die Eintrittskarte, um dann durch Nottüren in den Sperrholzplatten in die Kirche zu gelangen, die mittels eines fernausgelösten Summers freigegeben werden. In meiner Erinnerung sehe ich noch rote und grüne Lampen über den Türen, aber vielleicht hat das auch meine Reminiszenz-Fantasie hinzugedichtet. Innen aber merkt man dem Bauwerk deutlich an, dass es errichtet worden ist, als die Stadt bereits zu Geld und Ansehen gekommen war. Da ist nichts Spektakuläres, was diese Kathedrale in Ziegelrot über vergleichbare Gotteshäuser hinausheben würde. Aber die überwiegend aus Holz geschnitzten Figuren sind solide und schön ausgeführt und die prachtvollen Seitenaltäre durchaus anrührend und bemerkenswert. Lore beschwert sich aber zu Recht über die stickige Luft hier drinnen. Eine weitere Überraschung, nachdem Gotteshäuser mit ihren schweren Mauern eigentlich zur Kühle und Frische neigen. Hier steht die Luft tatsächlich und ich stelle den angekündigten Orangenhof hinter dem Altar zur Erfrischung in Aussicht. Die seltsamen Eigenheiten der Kathedrale spielen sich eher im Verborgenen ab, wieder Name Scalera Scura schon aussagtBevor wir durch die eher langweiligen Museumsräume dorthin gelangen, erleben wir noch eine weitere Besonderheit dieser Kathedrale. Im Hauptraum des Tresors ist die riesige, silberglänzende Monstranz ausgestellt, die vermutlich zu Ostern durch die Gassen getragen wird. Die ist hier praktischerweise mit Zellophan-Folie umwickelt, ganz so, wie Getränkegroßhändler ihre Transportpaletten gegen Verrutschen sichern. Ist natürlich praktisch, weil man das Kunstwerk dann nicht für jede Prozession wieder saubermachen muss. Mir nötigt die Konstruktion jedenfalls einen völlig unandächtigen Lachanfall ab und ich bin mir nicht sicher, ob ich das als geniale Arbeitserleichterung oder als Sakrileg einstufen soll. Der kleine Hof dahinter ist auch nicht wirklich mit anderen Orangenhöfen wie in Sevilla, Granada oder Cordoba zu vergleichen, er bietet aber völlige Ruhe und vor allem frische Luft. Durch die direkt hinter den Mauern in die Höhe wachsenden, modernen Büropaläste wird der Eindruck einer in schnöder Welt ausgesetzten, religiösen Selbstergebenheit noch grotesk verstärkt. In den anschließenden Räumen der Bischofsresidenz gibt es tatsächlich auch noch einige durchaus ansehnliche Gemälde und Skulpturen zu sehen. Dankenswerterweise ist hier auch einer dieser Kaffeeautomaten aufgestellt, wie man sie auch auf Flughäfen und Bahnhöfen findet. Ich denke nicht weiter darüber nach, ob ich das der Würde eines Gotteshauses angemessen finde, sondern versorge meine Frau und mache mich noch auf einen Abstecher auf die Scalera Scura, die gleich dahinter im Verborgenen nach oben führen soll. Die im Besichtigungskatalog angepriesene Aussicht ist zwar eine veritable Verarschung. Von oben kann man gerade mal auf das Dach des Mittelschiffs blicken und erhält einen Eindruck davon, wo gerade an den gotischen Stützwerken geputzt wird. Aber der Blick auf die kunstvolle Steinspirale dieser Wendeltreppe von oben lässt schon erahnen, was sich der Baumeister dabei gedacht haben könnte. Unten angekommen bewundere ich noch die ausgestellte Szene des Weinfasses für den Messwein mit beigelegtem Zapfzeug. Das Fass schaut aus wie die überall auf den Straßen ausgestellten Sherryfässer, die Szene ist aber irgendwie rührend wie eine Weihnachtskrippe. Jetzt aber haben wir genug der Pflichtvisiten. Vom Vorplatz aus bewundern wir noch einen Stadtpalast mit schönen Dach- und Seitenterrassen, der angesichts der aus allen Dachrinnen wuchernden Grünanlagen ganz offensichtlich zum Verkauf steht, können uns aber nicht so dafür erwärmen. | |||
Lauschige Plätze um den Alcazar und die kleine Kirche San MiguelÜber die blumengesäumten Treppen machen wir uns in Richtung Alcazar auf den Rückweg. Die berühmte Sherryfabrik am oberen Absatz lassen wir rechts liegen und schauen uns noch auf dem Vorplatz der Burg um. Lore jagt grüne Orangen zum Zweck der Parfümierung und ich noch einige Fotos. Der Musikpavillon nach Art des Kurkonzerts gefällt mir schon wie auch die Aussicht, die Innenansicht eines weiteren Alcazars aber sparen wir uns. Wieder am Arenal angekommen, wähnt Lore sich schon am Ziel. Aber den kurzen Abstecher zur Kirche San Miguel kann ich ihr nicht ersparen, weil sie als schönstes Bauwerk neben der Kathedrale gehandelt wird. Schon beim Hinweg ragt der Turm auch sehr pittoresk zwischen den Altstadtgassen auf, ähnlich wie das ehemalige Minarett der Mezquita über die Calle Flores in Cordoba. Der kleine Platz vor der Kirche gibt uns immerhin noch einen Eindruck, davon, wie ein belebter Orangenhof auch aussehen kann, die Kirche selbst bleibt uns verschlossen. Bevor wir wieder in die Tiefen des Arenals zum Auto hinuntersteigen, machen wir erste einmal Brotzeit auf dem Platz und amüsieren uns königlich über die Tauben, die wie überall auf der Welt mit Vorliebe gerade auf die majestätischsten Spitzen eines jeden Denkmals, …scheissen. Meine diffusen Vorurteile gegen Jerez habe ich jedenfalls begraben. Von der vermuteten Dünkelhaftigkeit der Sherryhochburg oder einer spanischen Reitschule war nichts zu spüren in dem kleinen Rundgang, der sicher nur an der Oberfläche gekratzt hat. Da waren viele lauschige Plätzchen zwischen den Altstadtgassen, auch wenn der Charme Cordobas oder die maritime Abgeschiedenheit von Cadiz′ Altstadt einen eigenen Charakter darstellen, den ich hier so nicht gefunden habe. Hier gibt es nichts kulturgeschichtlich Einzigartiges zu besichtigen wie an anderen Orten Andalusiens. Der angehende Reichtum hat neben dem Sherry auch keinen Stadtkern schaffen können wie in Baeza, in dem man geradezu ehrfürchtig wandelt. Es gibt auch keinen Vergleich zu einzigartigen Ansichten wie in Ronda oder Montefrio. Aber gemütliche Tage oder Stunden verbringen kann man hier durchaus, soviel ist sicher. Einen Wermutstropfen müssen wir noch schlucken. Eigentlich wollten wir auf der Rückfahrt endlich den schon seit zwei Jahren beabsichtigten Besuch im berühmtesten Fischlokal von Puerto de Santa Maria an der Bucht von Cadiz anschließen. Dafür ist es einfach noch zu früh, und mittlerweile sind wir etwas zu müde geworden, um die Zeit bis dahin durch weitere Aktivitäten aufzufüllen. So wird es "nur" die Pizzeria in Conil werden. | |||
Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten
Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten | |||
© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de
Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014
Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten
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