Reisebericht zu Andalusien→Nordostandalusien→Baeza Echtes Kleinstadtleben in Baeza vor toller Kulisse der Sierra Magina, aber menschenleerer AltstadtBaeza überrascht uns mehrfach. Die schöne, historische Altstadt zeigt sich eher als lebensarmes Museumsdorf, während sich wenige Meter unterhalb hier im Gegensatz zu Ubeda das örtliche Leben auf dem Hauptplatz tatsächlich abspielt. Die Aussicht vom Balkon der Hügelkrone auf die umliegenden Sierren hinterlässt einen bleibenden, toskanisch anmutenden Eindruck. Ein Ort zum Wohlfühlen, der seinen Ritterschlag zum Weltkulturerbe natürlich einsetzt, ohne sich ausnutzen zu lassen und seinen eigenen Charakter bewahrt. Nachdem wir unser erstes Reiseziel jetzt erreicht haben und unsere Ferienwohnung für die nächsten drei Tage zu unserer Zufriedenheit in Beschlag nehmen konnten, wollen wir auch einen ersten Augenschein wagen trotz der Müdigkeit in den Knochen nach vielen Stunden Flug und Anfahrt. Zum Abendessen ist es nach spanischen Gepflogenheiten ohnehin noch viel zu früh, und so können wir bei einem Spaziergang durch die Altstadt auch gleich ein geeignetes Lokal auskundschaften. Angesichts sehr wechselhafter Erfahrungen mit Restaurantbesuchen auf "gut Glück" während unserer ersten Andalusienreise ein Jahr zuvor habe ich diesmal nicht nur auf unsere alten Reiseführer verlassen, sondern auf einschlägigen Portalen schon nach aktuellen Empfehlungen gesucht. Schließlich war klar, dass wir die Selbstversorgungsmentalität nicht auf die Spitze treiben und am ersten Reisetag gleich mit dem Kochen beginnen werden. Gelbe Nebel treiben anstelle von Menschen durch Baezas Altstadt und sorgen für typischen GeruchNach wenigen Schritten öffnet sich die Calle Condes Romanones, in der wir zu wohnen geruhen, auf die große Plaza de Santa Cruz, die im direkten Verbund mit der Plaza de Santa Maria zu Füßen der Kathedrale sozusagen das Altstadtzentrum ausmacht. Die kleine Kneipe am ersten Eck hinter unserem Palazzo ist noch geschlossen, die angebotenen Tapas reißen uns jetzt auch nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hin. Eine kleine Touristengruppe mit Führer durchbricht allein die siestaähnliche Ruhe im gesamten Areal. Sie werden uns fortan immer wieder begegnen, werden dem Vernehmen nach vom örtlichen Touristenbüro organisiert und sehr gelobt. Ist nur nicht unser Ding. Spätnachmittägliche Sonne unter strahlend blauem Himmel taucht die ehrwürdigen Gemäuer in einen warmen Ocker bis –rotgefärbten Grundton. Die angenehme Brise dazu weht allerdings wohl von Westen her, jedenfalls trägt sie unangenehme Geruchspartikel mit sich, deren Note deutlich an die Düngezeit in Gegenden mit intensiver Schweinemast bei uns daheim erinnert. An manchen Stellen kann man diesen Nebel, den wir vermutlich schon bei der Anfahrt von weitem aus dem Kaminschlot der angrenzenden Industrieanlage entweichen sehen konnten, förmlich greifen in Form eines gelblichen Schleiers. Ich habe sogar Fotoversuche angestellt, auf denen ich die Schwaden festhalten wollte. Wir werden aber immer die scheinbar einzigen bleiben, die sich darüber mokieren. Weil er offenbar mit der Verarbeitung von Oliven zusammenhängt, dürfte er den Einheimischen auch in Fleisch und Blut übergegangen sein, nachdem er neben dem Tourismus ihre Lebensgrundlage über Jahrhunderte darstellt. Bei der späteren Ursachenforschung finde ich auch Adjektive wie "pikant" oder "würzig" als Charakteristika für typischen Geruch der Gegend, was zumindest nicht falsch ist und eben auch nicht Baeza speziell betrifft. So wie es in Italien an jedem Ortsrand eine genossenschaftliche Weinverarbeitung gibt, ist in der Provinz Jaen die nächste Olivenverarbeitung nie weit entfernt. Wie Geruch, Fabrikationsverfahren und so auch Qualität zusammenhängen, habe ich aber bisher noch nicht herausbekommen. In Anbetracht der Leere des Raums, die sich vor der Plaza de Santa Cruz vor uns öffnet, witzeln wir natürlich etwas. Nachdem sich in der Altstadt ohnehin kein Einheimischer aufzuhalten scheint, kann man natürlich das "Beigeschmäckle" heimischer Produktion gut auch so verstehen, dass ebensolche Emissionen dort am wenigsten stören. Ist natürlich bösartige Unterstellung, und unsere zarten Näschen werden sich unter anderen Windkonstellationen auch noch völlig unbelästigt in Baeza bewegen können. | |||
Wuchtige Renaissance und mittelalterliche Gassen in Baezas AltstadtUnbestreitbar bietet Baezas Altstadt schon auf den ersten Blick ein völlig anderes Bild, als wir es bisher von Andalusien gewohnt waren. Keine engen Gassen mit zierlichen Balkönchen links und rechts und mit quirligem Leben ausgefüllt wie in Cordoba, dafür wuchtige Paläste und großzügige Plätze. Die mächtigen Mauern der alten Universität entlassen uns jetzt auf die mit kleinen Steinquadern gepflasterte Plaza de Santa Cruz mit Blick auf die eher unscheinbare, gleichnamige Kirche. Ein breiter Durchgang führt nach rechts bergauf zur Kathedrale, von links her kommt die Calle Compania mit etwas belebteren Kneipen von der Hauptstraße, so wie wir auch angekommen sind. In unserem Rücken beherrscht die Fassade des Palacio de Jabalquinto den gesamten Platz. Mit den säulenartigen Seiteneinfassungen wirkt er wie das überdimensionierte Tor zu einer mittelalterlichen Burg, hinter deren Mauern geheimnisvolles Leben geschützt werden muss. Auch wenn wir die im Führer erläuterte, im Mittelalter revolutionäre Symbolik der vielen Steinornamente der Fassade nicht im Einzelnen nachvollziehen können, das aufstrebende Lebensgefühl und Darstellungsbedürfnis eines Adelsgeschlechts als Kampfansage an überkommene, absolutistische Strukturen wird hier schon ziemlich deutlich. Als notorische Verweigerer vorgeschriebener Kulturpfade finden wir allerdings den angrenzenden, kleinen Orangenhain mindestens ebenso schön, er erinnert etwas an die klösterlichen Kreuzgänge in Granada. Wir steigen die wenigen Schritte zur Plaza de Santa Maria hinauf und befinden uns damit an der Nordseite der Kathedrale. Der kleine Brunnen in der Mitte des schräg ansteigenden Platzes wirkt eher wie ein Überbleibsel aus römischer Vorzeit, ein kleiner Tempel als Fremdkörper, der das Fehlen menschlichen Treibens noch betont. Immerhin aber steht eine blau drapierte Bühne zu Füßen der Kathedrale noch und bezeugt so, dass solches Leben hier durchaus stattfindet, mindestens zur gerade abgeschlossenen Settimana Santa. Für uns jetzt ein schönes Motiv, Lore als strahlende Predigerin auf Digitalkamera zu bannen. Das alles schaut schon sehr beeindruckend aus, es wirkt nur irgendwie blutleer. Ein wenig kommen wir uns vor, als habe man uns in einem gigantischen Freilichtmuseum ausgesetzt. Unter diesem Blickwinkel beeindruckt sogar der Kathedralenanbau, wohl das Pfarrhaus. Hinter dessen Fenstern gibt der Charakter eines Möbellagers deutlich zu erkennen, dass man auch hier seine liebe Not hat, alle Requisiten aus fünf Jahrhunderten vernünftig unterzubringen, was es aus realer Lebenssicht sympathisch macht. Die innere Besichtigung des Gotteshauses verschieben wir, weil der Eingang bereits von einem Inkassotresen bewacht ist, und zu derartigen kulturellen Höchstleistungen haben wir jetzt noch keine Lust. Baezas Balkon zur Sierra Magina hinter dem "El Sarmiento"Direkt hinter der Kathedrale wird es aber schon uriger. Prunk, Glanz und Gloria verschwinden zugunsten enger Wege zwischen Steinmauern und schmalen, schattigen Gassen. Dort, wo auch früher das Volk gehaust hat, fühlen wir uns irgendwie wohler. Nach wenigen Metern haben wir intuitiv die Plaza del Arcediano erreicht, wo sich das "El Sarmiento" befinden soll, eines der beiden Favoritenrestaurants, die ich mir im Vorfeld ausgesucht hatte. Der von Mauern und weißen Hausfassaden gesäumte Platz wird durch ein bepflanztes Rondell aufgelockert mit einer Blechskulptur, deren Sinn sich mir nicht unmittelbar erschließt, dahinter aber auch durch ein Holzbodenpodest, das auf Anwesenheit von Gastronomie schließen lässt. Leider aber werden meine Befürchtungen wahr: Der schon im Internet angekündigte Ruhetag am Montag scheint eingehalten zu werden, jedenfalls sind alle Fensterläden geschlossen und nichts deutet darauf hin, dass etwaige Touristensaisonen daran etwas ändern könnten. Immerhin konnte ich bei einem späteren Abendspaziergang noch einen Blick hineinwerfen. Sowohl das Ambiente wie auch die anspruchsvolle Speisekarte mit Menüvorschlag zu kaum höheren Preisen als üblich lassen mich in dem Glauben, ich hätte hier keine schlechte Wahl getroffen. So aber ziehen wir weiter und haken schon mal den ersten Punkt der heutigen Vorstellung von Abendessen ab. Zwei Ecken weiter wird es aber bereits wieder spektakulär. Die nächste schmale Gasse ist zwar bereits baulich bereits wieder etwas neuzeitlich, gibt aber schon den Blick frei auf den unmittelbar darunter liegenden Balkon von Baeza. Wir blicken hinunter auf den Paseo de la Muralla, die Straße, die den Ort nach Süden hin auf seiner Hügelkrone abgrenzt und dahinter auf die Bergwelt der Sierra Magina. Hier werden endgültig Erinnerungen an Toscana-Urlaube in grauer Vorzeit wach, Siena, Volterra oder San Gimignano liegen kaum schöner. Vom Mirador aus ist die Zwillingsstadt Ubeda weißschimmernd im Abendlicht deutlich als Fürstin des benachbarten Hügels zu sehen. Die Sierra Grazalema, unser eigentliches Natur-Reiseziel hier in der Gegend, steht wie eine versteinerte Theaterkulisse dahinter. Die kleinen Ortschaften am Nordrand der Sierra Magina gegenüber ducken sich unter durchaus imposante Felswände, die deutlich machen, dass sie es mit der berühmten Grazalema durchaus aufnehmen können, was sich auch bestätigen wird. Hier müssen die Olivenhaine zugeben, dass sie nicht die gesamte Umgegend beherrschen, sondern ihr schachbrettartiges Grün lediglich die sanfte Einbettung majestätischer Bergkulissen abgibt. Zu weit vorwagen an die Balkonbrüstung lohnt allerdings nicht. Direkt im Tal wird unübersehbar die Autobahn in Richtung Ubeda vorangetrieben, so dass sich alte Landstraße und Baustellentrasse der neuen Autobahn den ohnehin begrenzten Raum teilen müssen. Ausführliche Beschreibungen preisen uns außerdem noch "Fuentes" am Hügelabhang an, was ich für mich mit Quellen übersetze. Zumindest jetzt in der Vorsaison wirken diese Einrichtungen aber mehr wie vernachlässigte Landhausvillen in schlechter Lage, die auf ihre Übernahme durch eine erfahrene Bespaßungsindustrie warten. Touristisch gesehen mag hier also noch Ausbaufähigkeit bestehen. Der allererste und bleibende Blick ist aber dennoch ein ganz besonderes andalusisches Highlight. | |||
Im Zentrum von Baeza: Fünfzig Meter unterhalb der Altstadt brodelt das LebenDurch wieder schmaler werdende Gassen schlendern wir zurück in Richtung Zentrum. Hier wird schnell deutlich, dass sich das Museumsgefühl in Baeza auf die wenigen Plätze des inneren Altstadtkerns beschränkt. Hier, in den angrenzenden Gassen, wird schonend renoviert und gebaut, hier werden kleine Plätze aufgewertet, begrünt oder bedenkmalt. An manchen Ecken ist auch nicht zu übersehen, dass Renovierung Geld kostet, das nicht jeder hat. Im Umkehrschluss zum Schwerpunkt auf normalen Stadtleben anstelle von Disneyland der Renaissance aber beruhigt uns das: Baeza ist tatsächlich nur im inneren Kern zweier Plätze tatsächlich ein Museum, schon nach zwei Straßenecken herrscht überall menschliches, dörfliches Leben. So kommen wir über eine Steintreppe auf die Plaza del Popolo zurück und beginnen, die Anlage des Ortskerns zu verstehen. Der Platz liegt etwas zurückgesetzt von der Hauptstraße, auf die er sich öffnet, wird aber deshalb wie von uns auch bei der Durchfahrt kaum wahrgenommen. Hier sind die historischen Behördengebäude angeordnet, rund um ein kleines, öffentliches Forum. Den Blick beherrscht aber der direkt anschließende Paseo de la Constitucion, der schon wegen seiner Größe ganz offensichtlich das Zentrum des heutigen öffentlichen Lebens ausmacht und am anderen Ende mit einem kleinen Kreisverkehr als Plaza de Espana abgeschlossen wird. Der unbedarfte Besucher wird weder durch Karten noch durch Streetviews darauf vorbereitet, dass alle drei Elemente letztlich eine ineinander übergehende Einheit bilden und nach weniger als einer Minute durchfahren sind. Nur aus Fußgängersicht lässt sich die Plaza del Popolo tatsächlich als mittelalterlicher Ortskern würdigen. Die Steintreppe in die Altstadt, der Löwenbrunnen und der Torbogen zu Ehren der allerkatholischsten Königin Isabella geben den Platz wirklich den Charakter eines Forums. Ihre Majestät sind uns ja schon aus Granada bekannt. Uns zieht aber mehr der nicht zu übersehende aktuelle Ortskern an, der Paseo de la Constitucion, einfach ein schöner Platz. Das marmorn gepflasterte Zentrum schmiegt sich nördlich an die Hauptstraße, durch Platanen von ihm abgeschirmt. Kleine Pavillons laden jetzt, wohl mangels anderer kultureller Nutzung, die Ortsjugend zu Fußballturnieren ein. Man könnte aber auch jederzeit ein Kurkonzert á la Baden-Baden erwarten. Auf dem breiten Boulevard in der Mitte geben sich Fahrrad- und Skatejongleure ein Stelldichein und stören dennoch nicht Kinderwagen schiebende Jungfamilien, flirtende Paare oder an Tratsch interessierte Omas. Auf der anderen, der Altstadt zugewandten Straßenseite, säumt ein schattiger Laubengang den Platz, unter dem sich Lokale aneinanderreihen und der schöne Erinnerungen an Bozen in Südtirol wachruft. Wir legen eine kleine Pause ein auf einer der Bänke, genießen die letzten Strahlen der Abendsonne und beobachten in Ruhe das alltägliche Kleinstadtleben. Dann suchen wir das nächste Lokal auf meiner Favoritenliste, das "El Arcediano". Es befindet sich in einer kleinen Parallelgasse oberhalb des Hauptplatzes, ist aber auch noch geschlossen und lässt auch nicht erkennen, ob sich dieser Zustand heute noch ändern wird. Ein kleiner Bogengang führt uns zurück auf die Plaza Espana, von wo aus eine kleine Fußgängerzone das Ortszentrum verlängert, während der Durchgangsverkehr nach rechts in Richtung der Puerta de Ubeda abgeleitet wird. Hier werden die Palazzi schon durch einige Bürgerhäuser aufgelockert, die kleine Kirche San Pablo liegt etwas versteckt hinter einem Palmengarten. Wir wollen die gerade stattfindende Messe nicht stören und begnügen uns auch hier mit der Aussenansicht. Im Patio eines der Palazzi finden wir ein gemütlich wirkendes Lokal, das auch noch zu öffnen scheint, allerdings reißt uns die draußen auf einem Aufsteller angepriesene Allerwelts-Speisekarte nicht unbedingt vom Hocker. Die Auslagen der kleinen Geschäfte demonstrieren ein leicht ländliches Modeverständnis, laden aber durchaus zu einem kurzen Bummel ein. Neben einem Delikatessengeschäft, in dem wir später die besten Oliven dieser Reise erstehen werden, findet sich auch eine Bäckerei, die ich mir geistig für die Frühstücksbrote vormerke. Direkt unten an der Plaza Espana fasziniert uns ein riesiges Haushalts- und Eisenwarengeschäft, in dem es offensichtlich aus kleinen Schublädchen noch alles zu kaufen gibt, was auch in besondere Lebenslagen verlangt werden könnte, vom Nagel angefangen über den Nagelzwicker zu Töpfen, Pfannen und Kaffeemaschinen bis hin zu Gartenmöbeln und kleineren Baumaschinen. In jedem der vielen Schaufenster ist ein anderer Ausschnitt des Sortiments zu bewundern. In die jetzt noch nicht erkundete, nördliche Richtung zweigt die schmale Calle San Francesco vom Kreisverkehr der Plaza Espana ab, wir haben für heute aber genug. Die Fassade des gleichnamigen Konvents bewundern wir aus der Ferne, das darin untergebrachte Restaurant können wir einem Augenschein unterziehen, falls wir sonst nichts anderes finden. Jedenfalls werden wir jetzt unseren Tätigkeitsschwerpunkt auf das bevorstehende Abendessen richten. | |||
Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten
Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten | |||
© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de
Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014
Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten
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