titelbild fenster-gucker reiseblog

La Mesa Segurena: Gute Küche wird durch introvertierten Service und wenigen lokaltypischen Gerichten in ihrem Glanz beschränkt

Reisebericht zu AndalusienNordostandalusien → Sierra de Segura

Segura de la Sierra Abenstimmung hoch über dem Dorfplatz

Auf dieses Abendessen hatte ich mich schon vor der Abreise gefreut. Einer der wenigen, voraus geplanten Restaurantbesuche soll uns kulinarische Bespiele der überlieferten Bergler-Küche zeigen. Leider werden aus den lokalen Produkten aber kaum andere Speisen zubereitet, wie im Rest Andalusiens auch, wenn auch sehr gekonnt. Noch überraschender in einer durchaus vom Tourismus abhängigen Region war aber der fremdenunfreundliche Service.

Eine ausgiebige Rundfahrt durch die Sierra Segura liegt hinter uns, für mich noch die Besichtigung der Burg, jetzt haben wir echt Hunger. Bei meinen Recherchen zum Artikel über den Naturpark für Wikivoyage hatte ich mich ausgiebig über die Spezialitäten der Gebirgsküche kundig gemacht. Dabei wurde öfters dieses Lokal als Fahnenträger lokaler Spezialitäten erwähnt. Für mich war es einer von vielen Gründen, hier in Segura de la Sierra meine Zelte aufzuschlagen. Nachdem ich schon darüber geschrieben habe, wollte ich endlich mal Rin-Ran, Gachas und Migas probieren. Genügend Hunger haben wir uns aufgespart nach diesem langen Tag.

Unfreundliche Öffnungszeiten für ermüdete Tagestouristen und eher allgemeine Speisekarten

Sogar einen Abendspaziergang haben wir zur Überbrückung noch eingelegt. Die Jagd nach weiteren Steinbock-Fotos war aber leider erfolglos, so dass Lore jetzt behauptet, es handele sich einwandfrei um Antons Privatzoo, der jetzt wieder im Stall der Huertos sei. Unser Wirt hatte uns bereits darauf aufmerksam gemacht, dass die "Mesa de la Segura" abends erst um 21:00 Uhr öffnet. In einem Ort, der wesentlich durch Touristen und tagesmüde Wanderer überlebt ist das ein etwas mutiges Konzept, wie auch Anton findet. Selbst in Cordoba, Sevilla und Granada öffnen die Restaurants bereits um Acht, und da ist es nachts noch deutlich wärmer als in den Bergen.

Um halb Neun haben wir die Warterei dann satt und machen uns trotzdem auf den Weg die 80 Stufen hinunter. Schließlich liegt ja gleich daneben das zweite Lokal, und bei meinem ersten Spaziergang durch Segura hatte ich keine nennenswerten Unterschiede in den Aushangkarten entdecken können. Sollte der schon geöffnet sein, gehen wir eben dahin.

Von den erwarteten, ortstypischen Spezialitäten hatte ich ohnehin keine entdecken können, weder auf der einen noch auf der anderen ausgehängten Standardkarte. Aber es bleibt ja noch die Hoffnung auf eine Tageskarte. International gehandelte Begriffe wie Leberkäs, Fleischpflanzl und Weißwürscht aus der bayrisch bekannten Küche findet man bei uns schließlich auch nur in Touristenlokalen als Standard. Vielleicht sollte ich mich auch nicht so sehr an den mühsam recherchierten Begriffen aufhängen, sondern einfach auf die lokale Zubereitung vertrauen, denke ich mir das zurecht.

Leider genießt das "Messia de Leiva" heute seinen Ruhetag, so dass unsere Alternative jetzt ausfällt. Dafür brennt aber in der benachbarten Mesa schon Licht und ein Blick durch die Fenster zeigt uns bereits Gäste, die zu Tische sitzen. Das macht Mut, dann werden wir wohl auch schon etwas zu Essen bekommen.

Der Empfang ist düster, die Bedienung auch

Es herrscht eine ausgesprochen heimelige Atmosphäre im Gastraum mit Hang zur Finsternis, als wir eintreten. Wir warten erst einmal unschlüssig, bis vom Tresen im Hintergrund einige Laute kommen, die nicht zu verstehen sind. Wir interpretieren das als "Setzt euch hin, wo ihr wollt, ich komme gleich" und suchen uns einen Tisch am Fenster, der offenbar mangels pompöser Eindeckung nicht reserviert ist (im Gegensatz zum Nachbartisch, der kunstvoll mit Serviettenbauwerken aufgebrezelt ist, den ganzen Abend aber leer bleiben wird).

Wir haben reichlich Zeit, uns im Raum umzusehen, bis die Stimme hinter dem Tresen Mensch wird und unsere Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen geruht. Die Grundeinrichtung in Ockertönen und massiven Deckenbalken erinnert an unser Apartment, nur die blauen Tischdecken und die teilweise üppige Dekorationswut erschreckt uns etwas, zumal man manches ohnehin nur schemenhaft erkennen kann.

Ein lauter Knall schreckt uns aus dieser Erstorientierung auf. Eine Dame schwer zu definierenden Alters hat uns die ledergebundenen Speisekartenbände gebracht und erwartet nun mit drohend gezücktem Block unsere Getränkebestellung (vermute ich). Wie immer bestelle ich für mich ein Bier auf den Durst, Wein für die Dame und Wasser. Das hat bisher eigentlich immer geklappt. Hier folgt eine Gegenfrage, von der ich keine Silbe verstehen kann. Vor lauter Schreck habe ich vergessen, was "halber Liter" auf Spanisch heißt und gerate ins Stottern. Das Mensch blickt mich fast wutentbrannt an, zuckt verächtlich mit den Schultern und verschwindet wieder.

Etwas ratlos schauen wir uns an, aber immerhin haben wir ja jetzt etwas zu lesen bekommen. Leider habe ich meine Brille vergessen. Bin ich nicht gewohnt, bisher sind wir ja immer bei Helligkeit draußen gesessen und da reicht mein Augenlicht normalerweise aus, um eine Speisekarte lesen zu können. Jetzt hilft das Touristenglück. Eine Gruppe Einheimischer oder zumindest spanisch Sprechender betritt das Lokal und fragt anscheinend, ob sie auch nur eine Kleinigkeit trinken könnten. Freudige Laute dringen hinter dem Tresen hervor, es werden verschiedene Getränke und Kaffeetassen serviert, aber vor allem, das Licht geht an! Mit einem Schlag wird ein Restaurant aus der Spelunke.

Das Ausprobieren lokaler Küche birgt eben auch Überraschungen

In der jetzt lesbaren Speisekarte finden sich schon die einen oder anderen Schmankerln, leider aber nichts an Begriffen, die ich so gerne probiert hätte. Dafür ist alles durchaus verständlich auf deutsch, englisch und französisch übersetzt. Verhungern werden wir also nicht, so viel ist sicher, auch wenn wir den Geldbeutel wohl etwas weiter aufmachen müssen, als bisher gewohnt. Jetzt kommen auch unsere Getränke, bei denen wir ja nicht sicher waren, ob der Bestellvorgang abgeschlossen war oder nicht. Immerhin genau so wie von mir gedacht.

Das Mensch hat sich auf dümmliche Touristen wie uns vorbereitet, finde ich wieder stark. Die Tageskarte hat sie auf einem Bedienungsblock notiert, den sie mir jetzt unter die Nase hält. So kann ich zumindest lesen, was ich gesprochen nicht verstehe. Von den mühsam gemerkten lokalen Speisebezeichnungen finde ich nichts, aber immerhin eine Forelle, die ich Lore ans Herz lege. Ich selber habe mich schon auf den Lammbraten der Tageskarte festgelegt. Jetzt geht es noch um einen Haupttreffer als Vorspeise, die ja wohl oben auf der Liste angeordnet sein sollten. Anchovis wollen wir nicht und einen Salat auch nicht, der Rest ist für mich undefinierbar und Nachfrage verbietet sich von selbst. Verstehen werden wir uns heute nicht mehr, die Dame und ich und mit der Präsentation dieses Zettels habe ich die Kommunikationsbereitschaft für heute ausgereizt, das macht die stolze Präsentationshaltung unmissverständlich deutlich.

Ich entscheide mich für etwas, das "Primavera" heißt, hoffe darauf, dass das wie in Italien Frühling bedeutet und murmele italienisch beschienen noch eine Nachfrage dahin, ob es sich dabei auch um ein "Entrada" handelt. Auf Spanisch korrekt wäre "Entrante" gewesen, ist aber egal, das Mensch rauscht so oder so schulterzuckend von dannen.

Fettige Würste ohne Brot als Frühlingsvorspeise, aber hervorragend zubereitete Hauptspeisen: Der angebliche gastronomische Stern der Segura

Das "Primavera" stellt sich als schmuck- und dekorationsloser Teller mit gebratenen Wurststücken heraus. Es gibt Stücke von Blutwurst, die Lore natürlich mir überlässt, Chorizo und einer weniger scharfen Wurst, die fettig auf dem Teller liegen, als hätte der Koch sie ganz schnell loswerden wollen. Nach Brot können wir nicht fragen, denn am Nebentisch ist jetzt eine Gruppe ganz wichtiger Einheimischer mit Gästen eingetroffen, die entsprechend hofiert werden müssen. Immerhin bekommen wir so vor Augen geführt, dass das Mensch durchaus freundliche Züge annehmen kann, wir haben nur sprachlich nicht den richtigen Schalter gefunden.

Die milde Wurst hat ein angenehm süßliches Brotaroma, die Blutwurst einen feinen Zimtgeschmack. Die Schärfe der Chorizo ist ohnehin Lores Ding. Aber ohne Brot gerät die fettige Angelegenheit schnell zum Gewürge und direkte Erleuchtung erfahren wir nicht, obwohl durchaus bemüht. Lore hilft fleißig mit, weil sie weiß, wie peinlich mir die Ignoranz gegenüber servierten, aber nicht verzehrten Lebensmitteln ist. Ganz werden wir es am Ende nicht schaffen, ist aber eh egal. Der Teller wird einfach abgeholt, als die Hauptspeise naht.

Vor der müssen wir allerdings schon den Hut ziehen und es gibt sogar Ansätze einer Dekoration der Speisen auf dem Teller. Die filierte Forelle mit Apfelscheiben und einer kleinen Grilltomate ist gut gewürzt und hervorragend zubereitet. Meine Lammhaxenscheiben gehören zu den Besten solchen, die ich bisher gegessen habe und stammen ganz bestimmt nicht aus Neuseeland. Auch die dazu angerichtete Steinpilzsauce (das "Segurena") ausgezeichnet. Die Portionsgrößen richten sich dafür an Menschen, die sich vorher an Würstchen sattgegessen haben.

Insgesamt haben wir nun doch ein durchaus gutes Abendmahl genossen, allerdings auch das teuerste unserer gesamten diesjährigen Andalusienreise. Für Nachspeise und Espresso fehlt uns hier aber doch die Lust. Die nehmen wir lieber auf der heimischen Terrasse ein und diskutieren eine höchst seltsame Erfahrung.

Spezialitäten in der Segura bleiben Geheimtips, auf Dorffesten eher zu finden als in örtlichen Restaurants

Gastronomische Dummheit und Ignoranz regt mich einfach von Berufs wegen schon auf. Diesmal geht es aber nicht um Kleinigkeiten, sondern Lore ist vom Erlebten genauso konsterniert wie ich selbst. Wir waren zu Besuch in einem Restaurant mitten in der touristischen Wüste Andalusiens, das unter anderem davon lebt, wie die meisten anderen verbliebenen Einwohner von Segura auch Ferienwohnungen an Touristen zu vermieten. Dieselben (in diesem Einzelfall) Leute behandeln dieselben Gäste fast wie ihre natürlichen Feinde, sobald sie das hauseigene Restaurant betreten und verlangen für diese Art von Sonderbehandlung noch Geld, für das ich in Malaga auf fliegenden Teppichen durchs Lokal getragen werden würde.

Von einer echten Ausarbeitung überlieferter Küchentraditionen fehlt jede Spur. "Lokal" beschränkt sich auf die Verwendung lokaler Zutaten. Das ist zwar schön, sollte aber in Restaurants dieser Preisklasse Standard sein. Bis an mein Lebensende werde ich mich an die Zubereitung von Spaghetti Carbonara über dem offenen Feuer an einem Campingplatz über Assisi erinnern, von Hausfrauen quasi als Pilgerversorgung. Das war lokale Zubereitung eines mittlerweile europäisch gewordenen Standards, wie er nie mehr und auch von mir nie erreicht worden ist. Eine permanente Erinnerung an Assisi.

So etwas hatte ich mir erwartet, was man natürlich nicht tun sollte. Aber die schlichte Übersetzung international gängiger Gerichte auf lokale Erzeuger ist mir einfach zu wenig für den Anspruch, den diese Häuser auch finanziell für sich einnehmen. Sogar in Bayern finden traditionelle Gerichte über den Reiseführer hinaus zunehmend wieder Eingang in die Speisekarten: Für Kalbsbackerln, Rinderherz und Kalbsbries fahren manche Leute meilenweit, in der Segura haben solche Gedanken offensichtlich noch keinen Boden gefunden.

Vermutlich wäre der bessere Weg, eines der vielen Dorffeste, der lokalen Fiestas zu besuchen, wo es an den dortigen Ständen noch eher solche Schmankerln abzugrasen geben wird. Die Termine hätte ich schon gewusst. Aber Puerta de la Segura haben wir erst wieder auf der Weiterfahrt nach Cordoba passiert und da war die Umleitung durch das Dorf schon nervig und offensichtlich parkplatzarm genug, um eine neue kulinarische Entdeckung zu wagen. Diesen Daten werde ich nächstes Mal mehr Beachtung schenken, verspreche ich mir selbst, mittlerweile schon längst mit meinen trüben Gedanken alleine gelassen von meiner Frau.

Solche Nachdenklichkeiten schmeiße ich dafür nächsten Tags Anton an den Kopf. Als gelernter Hotelier und Österreicher ist er natürlich auch nicht immer begeistert von den gastronomischen Leistungen seiner Mitbürger und –Gastronomen. Der Bergmensch sei eben schwierig und eher verschlossen, touristische Mühlen mahlen hier eher langsam. Als Alpenländler verstehe ich das, ihn sowieso. Von Cordoba kommend, ist er ja ein doppelt "Zuagroaster", also Fremder, obwohl von Geburt Bergmensch. Seinen eigenen Restaurantempfehlungen konnten wir ja leider nicht folgen. Wir speisen festlich nur zu Abend, und dafür waren seine Tipps zu weit weg.

Gastronomisch gesehen vertraut man in der Segura offenbar besser entweder auf sein Glück am Straßenrand oder handfeste Empfehlungen seines Wirts. Noch besser auf Stände bei Straßenfesten. Eher nicht auf Portale im Internet. Dafür ist die Decke an Erfahrungen dort einfach noch zu dünn. Ich persönlich kann mir ein auf dem hiesigen Markt gekauftes Lammkotelett auch ebenso gut selbst zubereiten, da bringt mir die Warterei auf einen Restauranttermin um 21:00 nur Generve, natürlich Arbeitserleichterung, aber keinen Mehrwert an Erfahrungen, für den ich das Lokal ja eigentlich besuche und dann auch gerne mal etwas mehr dafür bezahle.

Wenn Sie dem Verlauf dieser Reise folgen möchten

Vorhergehender Artikel

Tolle Aussicht belohnt steilen Aufstieg

Kindgerechte Darstellungen zum Burgleben im Mittelalter beflügeln den musealen Auftrag, die Aussicht auf das Panorama der Sierra von den Wehrgängen bleibt Besichtigungsgrund Nr.1

Nachfolgender Artikel

Bergdorf mit anschaulichem Museum

Die Ausstellung zeigt schöne Fotos historischer Lebens- und Sozialzusammenhänge in der Sierra Segura nach 1900. Das Erholungsgebiet am Ortsrand spiegelnde Wasserflächen und Wanderwege

Und hier der Gesamtüberblick dieser Reise mit allen Berichten


© 2004-2014 by Martin Haisch Gastromartini gastrobetreuung.de

Zuletzt aktualisiert am 27. Mai 2014

Mit ausdrücklichem Dank an Apachefriends und alle Open-Source-Entwickler, deren Arbeit solche Projekte erst ermöglicht
sowie an Lore für Begleitung und Ertragen programmierungstechnisch bedingter Abwesenheiten

[Sitemap] [Werbung schalten auf diesen Seiten] [Kommentar abgeben]